
Das Antlitz des Krieges
John Keegan
... ist nicht für uns geschrieben
Hohe Erwartungen an dieses Buch werden schon durch den Klappentext
geweckt, der es in eine Reihe mit den klassischen Werken des preußischen
Militärphilosophen Clausewitz stellt.
Das erste, einleitende Kapitel beschäftigt sich dann auf
hohem theoretischen Niveau mit der Frage, ob eine grundlegendere
Schicht menschlichen Erlebens, die Summe subjektiver Erfahrungen
in der Schlacht zu finden ist, die in gleichem, wenn nicht größerem
Ausmaß das Ergebnis beeinflußt als die Entscheidungen
des Feldherrn und der hohen Offiziere. Der Leser ist fasziniert.
Eine Idee, die so neu und gleichzeitig so naheliegend scheint,
daß ihre Untersuchung eine reiche Ernte anregender Erkenntnisse
verspricht.
Auch die Mittel sind vielversprechend. Hier sollen die unzähligen privaten Aufzeichnungen unbedeutender Teilnehmer zu Wort kommen, die schematisch pathetischen oder unmenschlich sachlichen offiziellen Darstellungen sollen einer kritischen Analyse unterzogen werden.
In den folgenden drei Kapiteln werden nun die Schlachten von Azincourt, Waterloo und der Somme dargestellt. Die Auswahl läßt schon leise Zweifel aufkommen, doch die Begründung des Autors beruhigt zunächst: die Wahl sei durch die Verfügbarkeit von Material und Zweck der Darlegung bestimmt.
In Hinsicht auf das Erleben der Teilnehmer versagt diese Erklärung jedoch schon bei Azincourt: es sind keine Aufzeichnungen der einfachen Soldaten überliefert. Das Schlachtgeschehen wird nach der bekannten Geographie und den Überlieferungen der Geschichtsschreiber detailliert und plastisch dargestellt, die Theorie des Autors wird jedoch nur durch die Vorstellungskraft des Lesers gestützt, Belege fehlen eben. Die Legende von den Langbögen wird ersetzt durch den Hinweis auf die Pfähle, die die Bogenschützen als Barriere gegen die Reiterei einrammten.
Zur Schlacht von Waterloo existiert dagegen eine Unmenge privater Literatur. Nahezu jeder Teilnehmer der Schlacht scheint seine Erinnerungen in schriftlicher Form niedergelegt zu haben. Ein ungehobener Schatz. Keegan findet nur einzelne Perlen. Er kann erklären, warum die französische Reiterei die Karrees nicht zu brechen vermochte. Er erhellt die Gefühle der Infanterie auch gegenüber der eigenen Kavallerie, die eine Art Militärpolizei stellte. Er stellt die Frage, wie die stundenlang auf einer Stelle verharrenden Soldaten eigentlich ihre Notdurft verrichteten. Seine grundlegende Fragestellung jedoch bearbeitet er nicht: was hatte das für einen Einfluß auf den Sieg. Warum floh die Kaisergarde ? Keegan kommt nicht über den Analysenstand Wellingtons hinaus: "Die Schlacht von Waterloo wurde auf den Sportplätzen von Eton gewonnen." Er fällt gar in das älteste Klischee der Militärgeschichte zurück: "Die Ehre ... hatte triumphiert."
Nach dieser Enttäuschung erwartet der Leser von den verbleibenden
Kapiteln nicht mehr viel und bekommt auch nichts mehr.
Übrig bleibt das Gefühl vom Autor getäuscht worden
zu sein. Nach einer blendenden Exposition gelingt es Keegan nicht,
über den Tellerrand der britischen Geschichtsbetrachtung
hinauszusehen. Das Niveau fällt auf die Qualität einer
"Apokalypse now". Diese Texte in ihrer Einseitigkeit
und mit ihrem Selbstlob haben wir auf dem britisch dominierten
Markt der Militärgeschichtsliteratur schon bis zum Überdruß
gelesen.
Doch dann dämmert eine Erklärung: dieses Buch ist eigentlich nicht für mich - nicht für uns - geschrieben, es ist entstanden aus Prof. Keegans Lehrtexten für die Kadetten von Sandhurst.